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Künstlicher Darmausgang: Das Gute am Stoma bei Mastdarmkrebs

Stoma – ist ein gutes Wort! Sogar ein elegantes Wort. Weil es gut klingt und das Stoma wirklich für Gutes steht…

Was ist eigentlich ein Stoma? So heißt der künstliche Darmausgang in Mediziner-Deutsch. Wir haben keinen Grund, von ihm wie mit vorgehaltener Hand zu sprechen. Denn es hilft uns – Ihr – Leben und Ihre Lebensqualität zu retten! Und das ist wunderbar…

Der Name Stoma kommt aus dem Griechischen und heißt Mund, Mündung oder Öffnung. So nennen wir künstliche Ausgänge. Also nicht nur den künstlichen Darmausgang, sondern auch andere künstliche Ausgänge, wie die der Blase oder der Luftröhre. Nicht das Stoma ist ein Problem! Sondern wir hätten ein existenzielles Problem, wenn wir das Stoma nicht zur Heilung hätten! Das Stoma hilft Leben! Zurück zum Darm: Es gibt noch ein anderes Wort für Stoma: Das Wort „anus praeter“. „Anus“ ist lateinisch und bezeichnet die untere Öffnung des Darms, den Darmausgang. „Anus praeter“ ist der künstliche Darmausgang.

Wie muss man sich eigentlich einen künstlichen Darmausgang vorstellen?

Ich beschreibe es einmal, ohne um den heißen Brei herum zu reden – dann verliert nämlich das „Schaurige“ sein Schauriges! Denn – die meisten schütteln sich nur, ohne ein Stoma je gesehen zu haben. Hier ist kein Platz für Ekel, kein Platz für Scham. Das Stoma schenkt uns Leben – kein schlechteres als früher…

Bei fortgeschrittenen Tumoren im Enddarm (Rektum) ist es in seltenen Fällen unverzichtbar, den Schließmuskel am unteren Ende des Dickdarms zu entfernen, um eben alle Krebszellen zu entfernen. Und somit einer Rückkehr des Tumors vorzubeugen. Ohne Schließmuskel lässt sich aber der Stuhlgang nicht mehr zurückhalten – er würde ständig aus dem Darm ausfließen und den Heilungsprozess torpedieren. Deswegen wird der natürliche Anus eben verschlossen und der Darm auf die Bauchdecke umgeleitet. Das ist ein bisschen zu vergleichen mit einer Drainage, also einem kleinen Schlauch, durch den nach einer Blinddarm-Operation Wundsekret ablaufen kann und muss. Anfangs unangenehm, aber nach ein paar Tagen gewöhnt sich der Betroffene schneller daran, als er denkt.

Rund um den künstlich gelegten Darmausgang klebt dort dann – gewissermaßen vulkanisiert mit der Haut – eine Folie, in die ein Loch eingelassen ist. Hier wird per Klickmechanismus ein Beutel eingeklinkt, der alles bombensicher aufnimmt, was sonst auf natürlichem Weg ausgeschieden würde. Der Beutel ist meistens über dem Bauch befestigt. Christian Limpert: „Das hält bombenfest.“ Nichts zu sehen, nichts zu riechen. Ein Pups – der ist manchmal auch zu hören, wie aber auch jeder andere Pups genauso zu hören ist! Entwaffnend leicht nimmt das der langjährige Stomaträger Limpert: „Das klingt wie lautes Magenknurren. Da kommt dann aber auch keiner auf die Idee, dass du einen künstlichen Darmausgang hast. Da sagst du einfach, du hast noch nichts gegessen – oder du guckst kurz strafend deinen Nebenmann an.“

Manchmal ist am Anfang die große Scham – weg damit

Nehmen wir dem künstlichen Darmausgang ein wenig von seinem Schrecken, denn den hat er nicht verdient. Er gehört vielmehr raus aus seinem geächteten Schatten-Dasein. Hören wir einmal zu, was einer sagt, der schon länger mit einem Stoma lebt, als ohne: Christian Limpert lebt schon mehr als sein halbes Leben mit dem Stoma.

Ich zitiere hier länger das von der Medizin-Journalistin Christiane Fux wunderbar dargestellte Gespräch mit Christian Limpert. Er lebt seit langem mit dem Stoma:

„Mit 14 ging es bei ihm los: Täglich bis zu 25 Mal musste er zur Toilette rennen. Sport, Ausgehen mit Freunden, Reisen – was für andere selbstverständlich war, war für ihn unmöglich. Mit 18 entschied er sich für die OP. „Das war eine unglaubliche Erleichterung“, sagt er heute. Plötzlich konnte er ein völlig normales Leben führen. „Jetzt laufen die Ausscheidungen in den Beutel, wenn der voll ist, wechsel ich ihn – und das war‘s“. Sport, sogar Schwimmen – für alles gibt es schützende Bandagen. „Ich hab das Stoma ganz schnell als Teil vom mir akzeptiert“, sagt Limpert, der inzwischen passionierter Schwimmer ist.“

Soweit zur Sache mit der Scham…

Stoma und das schöne Geheimnis mit der Sexualität…

„Tatsächlich kriegt davon niemand etwas mit“, versichert Limpert, der sich in einem Online-Selbsthilfeforum für Stomaträger engagiert. Anders als beispielsweise Rollstuhlfahrer werden Stomaträger nicht als Menschen mit Behinderung wahrgenommen. „Uns lernt jeder erst einmal als ganz normale Menschen kennen. Wem wir davon erzählen und wann, entscheiden wir selbst – da sind die Reaktionen meistens neugierig und positiv. Das gilt sogar für intime Momente“, berichtet der IT-Berater. Spätestens dann empfiehlt es sich, den potenziellen Partner aufzuklären. Doch wer nicht mag, muss sich selbst dann nicht outen – zumindest für Frauen gibt es raffinierte Dessous, die den Beutel verbergen. „Ich kenne junge, sexuell aktive Stomaträgerinnen, deren Partner beim One-Night-Stand gar nichts mitkriegen“.

Im Rahmen seiner Selbsthilfetätigkeit hat Limpert viele Menschen mit Stoma kennengelernt: vom Arzt bis zum Lkw-Fahrer, auch Prominente wie Schauspieler und Musiker, von denen niemand weiß, dass sie einen künstlichen Darmausgang haben. Auch wenn viele vorziehen, die Sache für sich zu behalten – Limpert macht Mut zu einem entspannteren Umgang mit dem Thema. „Die meisten machen sich zu viele Gedanken, trauen sich nicht ins Schwimmbad, halten Abstand zu den Mitmenschen, weil sie fürchten, dass jemand was merkt – das ist sehr schade.“ Denn wirklich eingeschränkt sei man schließlich nicht: „Entscheidend dafür, wie gut man klarkommt, ist, was sich im eigenen Kopf abspielt“.

Mastdarmkrebs ist die zweithäufigste Krebsart

Der Mastdarmkrebs, im medizinischen Sprachgebrauch auch Rektumkarzinom genannt, entwickelt sich im Mastdarm, dem letzten Abschnitt des Dickdarms. Zusammen mit dem Dickdarmkrebs, dem Kolonkarzinom wird er unter dem Begriff Kolorektalkarzinom (umgangssprachlich Darmkrebs) zusammengefasst. Für das Jahr 2010 ergab eine Schätzung des Robert Koch-Institut Berlin (RKI) rund 73.000 Neuerkrankungen an Darmkrebs pro Jahr, davon 33.620 Fällen bei Frauen und 39.410 Fällen bei Männern. Damit ist das Kolorektalkarzinom sowohl bei Frauen als auch bei Männern die zweithäufigste Krebserkrankung.

Mit dem 12-Augen-Prinzip gegen den Darmkrebs

Unser Darmkrebszentrum hier im Katholischen Marienkrankenhaus in Hamburg ist zertifiziert. Wir kämpfen gegen den Darmkrebs in Tumorkonferenzen nach dem 12-Augen-Prinzip: Sechs Krebsspezialisten diagnostizieren und therapieren simultan Hand in Hand. Fachärzte von sechs verschiedenen Disziplinen nehmen an der persönlichen Tumorkonferenz teil – und befassen sich mit jedem einzelnen Patienten. Bei den Tumorkonferenzen sind bei uns immer dabei:

  • Darm-Chirurg
  • Onkologe (Krebs-Spezialist
  • Röntgenarzt
  • Pathologe
  • Strahlentherapeut
  • Gastroenterologe

Wir diagnostizieren von Anfang an gemeinsam und simultan, um so schnell wie möglich die drängendsten Befunde zusammenzutragen. Zwölf Augen, um parallel den besten Heilungspfad zu bestimmen. Wir müssen unter anderem…

  • Gewebeproben aus dem Geschwulst (oder den Ablegern) entnehmen, um die spezifische Art und Aggressivität des Tumors eindeutig zu bestimmen
  • Brustkorb, Oberbauch (Computertomographie), um sicher zu gehen, dass keine Tochtergeschwülste auf Lymphknoten oder in andere Organe gestreut haben
  • Damit das genaue Stadium zweifelsfrei diagnostizieren
  • Mutations-Tests an den Gewebeproben für die individuelle Therapieplanung durchführen
  • Lungen- und Herz-Funktionen untersuchen, um die Belastbarkeit für die unterschiedliche Behandlungspfade zu erkennen
  • die ineinander greifenden Behandlungs-Schritte bzw. -Phase planen
  • im Falle einer Chemotherapie etwa personalisierte Indikationen entwickeln (keine Gießkannenmethode, denn jeder Krebs ist und verhält sich anders)
  • den Patienten genau über alles informieren, ihm ein Gefühl der Geborgenheit geben, dass der Krebs kein Schlupfloch haben soll – denn sein Vertrauen, seine mentale Stärke ist wichtig für den Heilungsprozess.

Auch Darmkrebs ist nicht gleich Darmkrebs

Aufgrund seiner anatomischen Eigenschaften unterscheidet sich die Behandlung des Mastdarmkrebses von der Therapie des Dickdarmkrebses. Der Mastdarm liegt im knöchernen kleinen Becken und ist von einer Fettgewebshülle, dem Mesorektum, umgeben, in der sich u.a. Blutgefäße und Lymphbahnen mit Lymphknoten befinden. Seine Funktion ist die Formung und Austreibung des Stuhlganges nach erfolgter kompletter Verdauung. Zusammen mit dem Schließmuskel bildet er ein sehr komplexes Organ. Er hat gemessen vom Schließmuskel eine Länge von etwa 16 cm und wird anatomisch in ein oberes, ein mittleres und ein unteres Drittel eingeteilt. Das obere und mittlere Drittel ist zum Teil an der Vorderwand von Bauchfell umhüllt, die Seitenwände und die Hinterwand bestehen nur aus dem Darmschlauch, umgeben von einem Fettkörper, dem Mesorektum. Eine Besonderheit liegt im Geschlecht. Bei Männern ist das knöcherne Becken naturgemäß kleiner und enger als bei Frauen.

Bei Tumoren im unteren und mittleren Drittel wird ab einer bestimmten Größe des Tumors und bei verdächtig vergößerten Lymphknoten im Mesorektum eine Vorbehandlung mit Strahlen- und Chemotherapie durchgeführt, bevor die Operation erfolgen kann.

Operationen am Darm haben ein gewisses Risiko, dass die angelegte Naht (Anastomose) eine Heilungsstörung aufweist. Das Risiko einer solchen Heilungsstörung hängt vom Abstand vom Schließmuskel ab. Insgesamt muss eine Heilungsstörung von bis zu 15% erwartet werden, die im oberen Rektumdrittel am niedrigsten, im unteren, Schließmuskelnahen Drittel am höchsten ist.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Funktion des Schließmuskels. Dieser kann per se oder aber durch die Vortherapie in seiner Funktion eingeschränkt sein und eine gewisse Inkontinenz bedingen. Folgt eine Operation, muss eine weitere, zumeist nur vorübergehende Schließmuskelschwäche erwartet werden. Die Anlage eines Stoma dient dazu, dass der Stuhlgang vor der angelegten Darmnaht umgeleitet wird – einfach um die heilende Wunde vor Bakterien zu schützen. Erst einmal verheilt, kann in den meisten Fällen diese ‚Umleitung’ wieder entfernt werden, sprich: der künstliche Darmausgang. Dann übernimmt nämlich wieder natürliche, der inzwischen geheilte, Darmausgang. Das ist das Gute am Stoma: Es hilft uns Ihr Leben retten!

Die Entscheidung, ob bei einer Operation am Mastdarm ein künstlicher Darmausgang angelegt wird, hängt neben diesen Faktoren und der Geschlechtszugehörigkeit (Männer) auch davon ab, welche zusätzlichen Erkrankungen der betroffene Patient mitbringt: z.B. ein Diabetes mellitus, Hypertonie, Durchblutungsstörungen, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Voroperationen im Bauchraum. Auch hier gilt: In den meisten Fällen kann nach Abheilen der Darmnaht der Darmausgang wieder zurückverlegt werden. Und zwar in der Regel nach 6-12 Wochen. Voraussetzungen sind eine abgeheilte Darmnaht und eine gute Schließmuskelfunktion.

Manchmal reicht ein kleiner Schnitt

Einen Sonderfall stellen Tumoren des unteren Rektumdrittels mit einer Distanz von 1-2 cm vom Schließmuskel dar. Hier ist sehr genau zu prüfen, ob ein Schließmuskelerhalt möglich ist. Für die Entscheidung ist eine uneingeschränkte Schließmuskelfunktion notwendige Voraussetzung. Das wichtigste Kriterium ist allerdings, ob bei Erhalt des Schließmuskels ein ausreichender Sicherheitsabstand zwischen dem Tumor und der Absetzungsebene des Darmes erreicht werden kann. Sollte das der Fall sein, gibt es eine spezielle Operationstechnik, TAMIR: Trans Anale Minimal Invasive Rektumresektion, bei der durch den After der untere Operationsschritt und minimal-invasiv der obere Operationsschritt erfolgt. Zu deutsch: Von dem Eingriff bleiben nur winzige OP-Schnitte sichtbar zurück.

Die große Angst ist unbegründet: 160.000 Menschen leben mit dem Stoma

In jedem Fall, wenn ein Stoma gelegt werden muss, werden unsere Patienten vor der OP über die jeweilige Anlage des Stomas informiert und die Lokalisation festgelegt. Nach der OP erhalten sie und die Angehörigen eine genaue Anleitung zur selbständigen Versorgung des Stomas durch unsere speziell geschulten Stomatherapeuten sowie Ernährungstipps. Viele Stomaträger treffen sich regelmäßig, um sich eben nicht allein an neue Hygiene-Gewohnheiten zu gewöhnen. Dieser Gesprächskreis heißt ILCo. In den Gesprächen wird deutlich, wie „normal“ das Leben weitergehen kann! Das, natürlich nach einer Eingewöhnungsphase, man sich ganz normal wieder an den schönen Dingen des Lebens freuen kann: ob es ein Restaurant- oder Theaterbesuch ist oder ein Ausflug – das Neue wird Normalität.

Stichwort Essen: Die Betroffenen können essen, was Ihnen schmeckt. Es sollte natürlich verträglich sein – bei der Einschätzung helfen Stomatherapeuten und Diätberater.

Stichwort Schwimmen: Schwimmen ist gut und geht! Dafür gibt es Schwimm- und Badegürtel, die das Stoma buchstäblich wasserdicht schützen und vor komischen Blicken schützen.

Stichwort Sexualität: Wer will, der kann! Wer das Stoma annimmt, den wird es in der Liebe nicht beeinträchtigen. Reden Sie mit uns Krebsärzten, den Stoma-Therapeuten oder -Trägern. Stoma und Liebe gehen in dieselbe Richtung: Leben!

Stichwort Schwangerschaft: Die Gebärmutter ist vom Stoma, eine Art Hilfsorgan, völlig unabhängig. Also ist eine Schwangerschaft für Stoma-Trägerinnen kein Problem. Nochmal: Liebe ist Leben!

Weiterführende Links:

Marienkrankenhaus Hamburg – Darmzentrum
Stomawelt
Welt-Stoma-Tag

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Prof. Dr. Christian Müller

Geschrieben von

Der Autor ist Chirurg und Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Er hält eine außerplanmäßige Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Kommentare: 2

13 August 2016 Antworten

ich selbst kenne diese schier endlosen Ansätze auf der Suche nach Antworten sehr gut. Leider habe ich festgestellt, dass viele Fachärzte nicht über ihren eigenen Tellerrand schauen. Man wird von A nach B geschickt. Über einen Arzt, der ganzheitlich sucht bzw denkt würde ich mich sehr freuen.

Prof. Dr. Christian Müller
26 August 2016 Antworten

Sehr geehrter Herr Kollege Reiter,
da haben Sie den Punkt getroffen. Arbeitsteilung in der klinischen Medizin ist wichtig, sollte aber nicht zum eingeschränkten Blick auf den Kranken und seine Bedürfnisse führen. Aus diesem Grunde leben wir eine sehr enge interdisziplinäre Zusammenarbeit, nicht nur in der Onkologie mit zweimal wöchentlich stattfindenden Tumorkonferenzen (12-Augen-Prinzip: das sind mindestens sechs Vertreter verschiedener Kliniken). Auch in der Gefäßmedizin sind die Krankheitsbilder komplex, auch hier haben wir schon vor Jahren eine wöchentliche Konferenz mit Interventionell-tätigen Radiologen, Angiologen, Neurologen, Diabetologen und natürlich auch Gefäßchirurgen eingeführt. Die Entscheidungswege sind dann kurz, der Fortbildungseffekt für alle Beteiligten ist ebenfalls nicht zu unterschätzen.
Zusammen arbeiten ist heute wichtiger denn je!
Herzliche Grüsse
Ihr
Ch. Müller

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